30 Tage LinkedIn Pause

Das Ergebnis eines erfrischend bedrückenden Wochenendes

Gestern früh war es so weit: Ich habe bei LinkedIn angekündigt, ich bräuchte mal 30 Tage Pause von Social Media - und von LinkedIn im Speziellen. Begründet habe ich das damit, dass bei Social Media etwas schiefläuft. Etwas kryptisch zugegeben. Kurze Zeit später habe ich die App von meinem Handy gelöscht und mich zum ersten Mal seit Jahren im Browser wirklich ausgeloggt (ja, das geht…). Dann das Lesezeichen im Browser gelöscht und erst mal durchgeatmet. Aber, warum eigentlich?

Ein erfrischend bedrückendes Wochenende

Ich möchte hier jetzt nicht die Plattform oder Social Media generell bewerten, denn um das wirklich fundiert zu tun, gehört mehr dazu als nur seine Meinung loszuwerden. Die Begründung, warum ich glaube, dass bei Social Media etwas schief läuft, möchte ich viel eher an Beobachtungen an mir selbst festmachen.

“Schön, mal mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich selbst so gut spürt. Das macht richtig Spaß” - das meinte eine Osteopathin zu mir, als ich im Dezember bei ihr auf der Liege lag.

Na dann, wollen wir mal sehen, wie gut.

Vergangenes Wochenende haben wir einen Notarzt gerufen. Nicht für uns selbst, sondern für einen Mann in der Nachbarschaft meiner Schwiegermutter.
Ich möchte jetzt nicht auf die Details eingehen - wichtig ist nur eine Sache: Es ereignete sich etwas, worüber ich mich richtig empört habe. So richtig.

Und was macht mein Gehirn daraufhin?

“Das ist eine grandiose Idee für einen LinkedIn Beitrag!” Kurz darauf hatte ich schon einen Text mit meinen beiden großen Daumen auf der viel zu kleinen Tastatur meines iPhone 12 Mini getippt. Der Beitrag würde einschlagen wie eine Bombe, weil er alles hat, was bei LinkedIn funktioniert. Starke Emotionen, eine starke Geschichte - und vor allem: Eine gehörige Prise Empörung, die nicht fehlen darf, wenn viele Menschen kommentieren sollen.
Mein dicker Daumen schwebte eine Weile über dem “Post” Button. Dann, ein Moment, der sich anfühlte als würde die Zeit anhalten.
“Willst du das wirklich? Wofür? Was machst du da eigentlich?”

Und statt auf Post zu klicken, tippe ich auf das “X” in der Ecke oben.

Ob ich den Beitrag für später abspeichern wollte?

Nein, lieber ganz löschen.

Kein Kurzschluss, sondern ein Fass das überläuft

Als ich das Handy weglegte, war mir klar: Das war nur eine Frage der Zeit, bis das passiert. Ich hatte während des ganzen Osterwochenendes sehr wenig Zeit bei LinkedIn (und Social Media generell) verbracht und war deswegen gefühlt so “raus” wie schon lange nicht mehr. Mein Gehirn funktionierte allerdings immer noch in dem Modus: “Das wäre doch ein guter Beitrag” - nur dass es mir selbst zum ersten Mal seit langem gut gelang, mich davon zu distanzieren.

Parallel dazu habe ich auf einem der vielen Spaziergänge am Osterwochenende meinen Lieblingspodcast gehört.

Dieses Gespräch ließ mich besonders mit zwei Beobachtungen zurück:

  • In diesen 90 Minuten waren für mich mehr wertvolle und bewegende Informationen enthalten als in den gefühlt letzten 6 Monaten LinkedIn (subjektiv, klar).

  • Malcolm Gladwell macht für seinen Podcast “Revisionist History” ein Table Reading (das muss ich gleich etwas ausführen).

Das Streben nach Aufmerksamkeit statt nach Exzellenz

Auf einer Autofahrt am Wochenende hörte ich gemeinsam mit meiner Frau einen Podcast, der verschiedene Themen rund um Kindererziehung behandelt. Der Podcast war 30 Minuten lang - der eigentliche Inhalt hätte ungelogen in 3 Sätzen zusammengefasst werden können.
Malcolm Gladwell hingegen recherchiert für seine Podcastfolgen teilweise wochenlang, schreibt sie vor - und dann, macht er ein “tableread”: Ein Konzept, das insbesondere bei Fernsehproduktionen immer wieder verwendet wird. Der Inhalt wird am Tisch laut vorgelesen - und es sitzen einige Menschen am Tisch, die den Inhalt noch nicht kennen.
Deren Reaktionen helfen den Autor:innen dabei, längere Stellen zu kürzen und zu identifizieren, welche Passagen besonders gut und wichtig sind.

Das hat mich nicht nur zutiefst beeindruckt, sondern gleichzeitig habe ich dann selbst in den Spiegel geschaut, wie ich denn mit meiner eigenen Qualität umgehe.

Und hier ist ganz klar in den letzten Wochen und Monaten eher das Thema “Aufmerksamkeit” im Vordergrund gestanden - und nicht Qualität und Exzellenz.

Und das entspricht nicht meinem eigenen Anspruch - ich habe mich aber dazu hinreißen lassen.

Ab ins Rabbit Hole

Weil ich wirklich viele Spaziergänge gemacht habe, hatte ich auch noch Zeit für eine weitere Folge von Tetragrammaton: Ein Interview mit dem Gründer von Perplexity.ai.

Und auch hier gab es für mich eine Erkenntnis, die sich unheimlich vertraut anfühlte - so, als hätte sie darauf gewartet, von mir gemacht zu werden.

Aravind Srinivas spricht hier davon, dass Perplexity sicherlich nicht für jeden Menschen geeignet wäre - aber für diejenigen, die es zu schätzen wüssten, gäbe es kaum eine bessere Lösung. Denn die künstliche Intelligenz ist der perfekte Begleiter für alle, die gerne Themen komplett auf den Grund gehen. Die ein Interesse daran haben, ein Thema vollumfänglich zu verstehen. Und weil ich mich in dieser Gruppe wiedererkenne, war mir plötzlich ganz klar, warum ich eine solche Irritation gegenüber Social Media verspüre.
“Die meisten Menschen haben nachdem sie eine Social Media App wieder schließen kein besseres Gefühl als vorher. Unser Ziel mit Perplexity war es, genau das Gegenteil zu erreichen.” (Das ist ein Zitat an das ich mich so vage erinnere - es ist auf jeden Fall sinngemäß in der Folge enthalten).

Ein Sturm an Erkenntnissen

Schon während ich die Podcastfolge hörte, spürte ich, dass sich gerade etwas ganz Grundlegendes in mir verschob. Mir war, als würde ich zum ersten Mal seit langem wieder etwas richtig Gehaltvolles zu mir nehmen. Etwas, nach dem sich mein Gehirn seit langem gesehnt hatte. Und dann ging’s los.

  • Niemand der Menschen, die ich wirklich für ihre Arbeit bewundere, scrollt viel bei Social Media (zumindest soweit das bekannt ist).

  • Alle Menschen, deren Arbeit ich besonders finde, streben nicht nach Aufmerksamkeit, sondern Exzellenz in ihrem Tun - kompromisslos. Auch wenn sie damit vielleicht Menschen “vergraulen.”

  • Mein LinkedIn Konsum hat in den letzten Wochen mehr verhindert als ermöglicht.

Ich arbeite gerade an einem Film für einen meiner größten Auftraggeber. Ein riesiges Projekt - viele Stunden Filmmaterial und am Ende nur 8-10 Minuten Film.
Ich liebe das Projekt, aber es strengt mich ungemein an.
LinkedIn hingegen strengt mich (zumindest auf den ersten Blick) nicht an. Und in den letzten Wochen habe ich LinkedIn immer als Ausweg aus dieser schwierigen Situation genutzt. Nicht nur, um dort zu scrollen (Das mache ich ohnehin relativ wenig) sondern um dort auch was zu produzieren, denn das fällt mir in den meisten Fällen auch sehr leicht. Also sobald ich mir am großen Projekt die Zähne ausbeisse, wartet schon mein Gehirn mit einer “einfachen” Idee auf mich. “Wie wäre es, jetzt ein Video über das Zuhören zu machen?” TOLL!

Und weg ist die Konzentration.

Gestern übrigens, nachdem ich dem Ganzen ein so radikales Ende gesetzt habe, habe ich innerhalb von ca 5 Stunden Arbeit eine Rohversion von dem Film erzeugt. Ohne Unterbrechung - ohne Ablenkung.

We have to talk about the elephant in the room

Ok, es gibt noch eine Sache, über die müssen wir natürlich sprechen: Denn es ist kein Geheimnis, dass ich fast alle meine Kunden in den letzten Jahren über LinkedIn gewonnen habe (Wenn du das liest und bei mir auch schon mal was gekauft hast, dann kannst du das ja mal überprüfen ob das bei uns auch so ist).

Was ist nun also damit?

Die ehrliche Antwort: Wenn ich jetzt mal 30 Tage durchatme, dann ist das ok. Wie es danach weitergeht, weiß ich noch nicht. Ich weiß aber, dass ich wenn ich so weitermache (und ich bin nicht das erste Mal an diesem Punkt) der Preis auf Dauer viel zu hoch ist.
Denn das Wochenende war insofern auch erfrischend bedrückend, dass ich über den Tod nachgedacht habe. Aber nicht, weil irgendwer in irgendeinem Feed darüber schrieb, sondern weil das echte Leben angeklopft hat.

Und wenn ich mir sicher bin, dass ich eine Sache am Ende meines Lebens mal nicht bereuen werde - dann ist es sicherlich, dass ich “zu wenig” Zeit bei LinkedIn verbracht habe.

Wo Qualität und Tiefe ist, da gehen Menschen hin. Deswegen kümmere ich mich jetzt mal um die Qualität.

Wir sehen uns, so oder so.